Europas Stromnetze unter Spannung: VDE fordert neue technische Lösungen für die Energiewende
Die Energiewende bringt das europäische Stromsystem an seine Grenzen. Mehr erneuerbare Einspeisung, weniger rotierende Massen und neue Verbraucher verändern das Gleichgewicht im Netz. Der VDE warnt vor wachsender Instabilität – und zeigt auf, welche technischen Weichen jetzt gestellt werden müssen, damit das Stromnetz der Zukunft sicher, stabil und resilient bleibt.

Mit dem Ziel, das Energiesystem vollständig auf erneuerbare Quellen umzustellen, verändert sich auch das Rückgrat der europäischen Stromversorgung: das Verbundnetz. Von Portugal bis in die Türkei sind aktuell rund 6.000 Großkraftwerke und unzählige Wind- und Solaranlagen miteinander verbunden. Deutschland spielt dabei eine zentrale Rolle – nicht nur als Energieverbraucher, sondern als Transitland im Netzverbund.
Doch das Gleichgewicht im System wird fragiler. Während konventionelle Kraftwerke mit stabilisierenden rotierenden Massen zunehmend vom Netz gehen, übernehmen immer mehr Umrichter den Stromtransport aus Wind- und Solaranlagen. Die Folge: Frequenzschwankungen wirken schneller und direkter, Regelreserven werden knapper, das Risiko für Lastpendelungen und Netzstörungen steigt.
Dringender Handlungsbedarf bei der Systemstabilität
„Der Umbau des Energiesystems stellt die Netzstabilität vor grundlegende Herausforderungen“, warnt Dr.-Ing. Ralf Petri, Geschäftsführer der Energietechnischen Gesellschaft im VDE (VDE ETG). Die bislang träge Reaktion konventioneller Kraftwerke wird durch schnell schaltende Leistungselektronik ersetzt – mit Folgen für die Synchronität und das Gesamtsystem.
Besonders gefährlich sind Pendelbewegungen elektrischer Leistung zwischen Regionen, etwa zwischen Nord- und Südeuropa. Wird das Schwingen zu stark, drohen Überlastungen oder automatische Schutzabschaltungen. Umrichter, wie sie bei Windrädern, Solaranlagen oder Hochspannungsgleichstromübertragungen (HGÜ) verwendet werden, verstärken diese Effekte zusätzlich. Sie erzeugen Oberschwingungen, die Netzspannungsqualität und Betriebsmittel belasten oder beschädigen können.
Technik, Normung und Regulierung gemeinsam denken
Der VDE Forum Netztechnik/Netzbetrieb und die VDE Normungsorganisation DKE arbeiten gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsministerium, Netzbetreibern, Industrie und Wissenschaft an der Roadmap Systemstabilität. Ziel der im Jahr 2023 gestarteten Initiative ist es, bis 2035 alle notwendigen Maßnahmen einzuleiten, um ein zu 100 Prozent erneuerbares Stromnetz sicher zu betreiben. Dazu gehört neben der technischen Weiterentwicklung der Umrichtertechnologie auch die engere europäische Zusammenarbeit in der Netzplanung und Systemführung.
Digitalisierung als Dreh- und Angelpunkt der Energiewende
Ein zukunftsfähiges Netz braucht nicht nur neue Hardware, sondern vor allem digitale Intelligenz. Echtzeitdaten, koordinierte Steuerung dezentraler Einspeiser und resiliente Netzleitstellen werden zum zentralen Instrument für die sichere Versorgung.
Dr.-Ing. Damian Dudek von der Informationstechnischen Gesellschaft im VDE (VDE ITG) betont: „Ohne robuste Informations- und Steuertechnik lassen sich weder Echtzeitdaten im elektrischen Energienetz verarbeiten noch wirkungsvolle Maßnahmen im Störfall umsetzen.“ Die Anforderungen an Cybersicherheit, Datenverfügbarkeit und sogenannte Schwarzfallfestigkeit – also Betrieb auch bei Stromausfall – steigen deutlich.
Kommunale Planung als Teil der Lösung
Die Energiewende beginnt nicht nur auf Bundesebene – sie beginnt auch vor Ort. Mit dem neuen Leitfaden „Spartenübergreifende Planung kommunaler Energiesysteme“ unterstützt die VDE ETG Kommunen dabei, eigene nachhaltige Energiestrategien zu entwickeln. Der praxisnahe Leitfaden soll Städte, Gemeinden und Versorger befähigen, Technologien sektorenübergreifend zu planen und umzusetzen.
Europas Stromnetz steht am Scheideweg. Um Versorgungssicherheit auch in einer klimaneutralen Energiezukunft zu garantieren, braucht es technologische Innovation, regulatorische Klarheit und abgestimmtes Handeln auf allen Ebenen. Der VDE liefert mit seinen Fachgesellschaften, Leitfäden und Normungsinitiativen wichtige Impulse – für ein Netz, das mehr kann als nur Strom transportieren: Es muss die Energiewende tragen.
Das Hintergrundpapier Netzstabilität steht hier zur Verfügung.
Der neue Leitfaden „Spartenübergreifende Planung kommunaler Energiesysteme“ kann hier heruntergeladen werden.